Als Jonas auf TikTok jubelte „Nie mehr Hausaufgaben!“, war das vielleicht etwas verfrüht, aber verständlich. Für sein Referat über die Photosynthese hatte er zwar eine Stunde benötigt, aber nur, weil er erst üben musste, die Aufgabe für ChatGPT optimal zu formulieren. Er war sich sicher, mit etwas Übung würde ihn eine solche Aufgabe künftig allenfalls ein paar Minuten kosten.
Unter Schülern wie Jonas vor allem, weil die sich enorme Erleichterungen bei den Hausaufgaben davon versprechen. Unter Eltern und Lehrern, weil sie befürchten, dass eine von Schülern als allwissend wahrgenommene KI diese gänzlich demotivieren wird, in Zukunft noch ihre eigenen Köpfe zu bemühen. Eine berechtigte Befürchtung? Und wenn ja, wie sollten Eltern und PädagogInnen damit umgehen?
Zugangswissen wichtiger als Faktenwissen
Ein paar beruhigende Gedanken vorweg: Die Wikipedia existiert seit 2001, und ist Pädagogen über die Anfangsjahre hinweg ein ähnlicher Dorn im Auge gewesen, wie es heute die KI ist. Sein Referat über die Photosynthese hätte Jonas noch vor einem Jahr sehr wahrscheinlich mit Hilfe der Wikipedia verfasst. Kopieren, einfügen, etwas umformulieren, fertig wäre der Aufsatz gewesen. Freilich, er hätte dazu das Material selbst sichten müssen, eine Auswahl treffen, und spätestens beim Umformulieren wäre wohl etwas von den Fakten, die die Wikipedia ihm geliefert hätte, auch in sein Langzeitgedächtnis gewandert.
Und im Vorfeld einer Klassenarbeit hätte er sich wohl auch bewusst angestrengt, sich die relevanten Fakten einzuprägen. Nun ist der tiefere Sinn des Lernens natürlich nicht, in einer Klassenarbeit gut abzuschneiden – dennoch ist das ganz sicher ein bedeutender Faktor, was die Lernmotivation der Schüler und Schülerinnen betrifft.
Dass diese das zu paukende Wissen nicht mehr überwiegend aus gebundenen Büchern beziehen, sondern Suchmaschinen und Online-Enzyklopädien bemühen, ist schon seit Jahren Fakt. Im Prinzip sind ChatGPT und Co. nur andere Zugänge zum Wissen, mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass sie Antworten auf die in Hausaufgaben gestellten Fragen gleich fertig formuliert liefern können. Aber sie können noch mehr: Sie können erklären!
ChatGPT als Hilfspädagoge
Zu den Stärken von ChatGPT und Co. gehört die Fähigkeit, Wissen auf ein gewünschtes Niveau herunterzubrechen. So mancher Physiklehrer bemüht sich redlich, aber vergeblich, seiner Klasse die Relativitätstheorie oder die Quantenmechanik zu erklären.
Als Jonas „Erkläre die Relativitätstheorie“ in ChatGPT eintippt, geht es ihm zunächst nicht besser: „Zeitdilatation“, „Relativität der Gleichzeitigkeit“, „Äquivalenzprinzip“, liest er da, und versteht es nicht. Aber als er schreibt „Erkläre die Relativitätstheorie, sodass ein Zwölfjähriger sie versteht“, versteht er die Prinzipien hinter Einsteins Theorien plötzlich. Und kann dann auch mit den Erklärungen seines Lehrers viel mehr anfangen.
Und auch zur Vorbereitung auf die Klassenarbeit nutzt Jonas inzwischen ChatGPT, indem er sich von der KI testen lässt. Denn die hat das Wort „Chat“ nicht bloß zufällig im Namen und gibt nicht nur Antworten, sondern kann auch Fragen stellen. Jonas nutzt einen Prompt wie den folgenden:
Prüfe mein Wissen zu Mechanik auf dem Niveau einer achten Klasse am Gymnasium. Stelle mir eine Frage. Gib nicht selbst die Antwort. Pausiere, um meine Antwort abzuwarten. Beurteile meine Antwort. Stelle mir dann eine weitere Frage. Beende die Prüfung nach fünf Durchgängen.
Meist belässt es Jonas nicht bei fünf Durchgängen, sondern wiederholt die Übung, bis er mit sich zufrieden ist. Seine Noten haben bislang nicht gelitten. Eher im Gegenteil.
Tipps zur sicheren Nutzung von ChatGPT in der Schule:
• Achtet darauf, dass Euer Nachwuchs keine Art „Abhängigkeit“ von ChatGPT entwickelt. Das heißt, er soll immer in der Lage sein, alleine seine Hausaufgaben zu erledigen. KIs sind nur eine hilfreiche Unterstützung im Lernprozess.
• Schaut Euch gemeinsam die Datenschutzerklärung von ChatGPT an. Da die Server in den USA stehen, greift hier nicht die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
• Sprecht mit Euren Kids darüber, dass ChatGPT keine Quellen angibt und sie deshalb selbst die Richtigkeit der Infos prüfen müssen. Probiert es doch mal aus und sucht gemeinsam, ob ChatGPT euch die Wahrheit erzählt.
• Erklärt, wie KI-Tools funktionieren und wo sie ihre Infos herholen. Dadurch könnt sowohl Ihr als auch Eure Kids besser Risiken erkennen und kritisch bewerten, was ChatGPT ausspuckt.
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