Was tun, wenn man als Eltern feststellt, dass das Kind im Netz sexuell belästigt wurde? In einem Interview mit der Kinderpsychologin Jarmila Tomkova sprechen wir über erste Anzeichen, was in den Köpfen der Kinder vor sich geht und wie Ihr Eure Kids besser schützen könnt.
Immer mehr Kinder werden im Internet sexuell belästigt. Vor allem bei den Acht- bis Zwölfjährigen haben sich die Fallzahlen verzehnfacht, wie die aktuelle Studie der Medienanstalt NRW ergab. Besorgniserregend ist, dass jedes vierte Kind schon einmal von einem Erwachsenen zu einem Treffen aufgefordert wurde und auch ein Viertel der Kinder noch nie mit jemanden über das Thema Cyber-Grooming gesprochen hat.
Ist es möglich, sexuelle Belästigung und Missbrauch im Netz zu verhindern?
Die Antwort lautet nein. Weder Tipps noch handfeste Verbote von Sozialen Medien oder Smartphones können Grooming gänzlich verhindern. Das Risiko besteht immer im Internet. „Was man tun kann ist, seine Kinder frühestmöglich über die genannten Themen aufzuklären und auf die Gefahren angemessen vorzubereiten“, erklärt Jarmila.
Gegen sexuelle Annäherungsversuche im Netz ist auch kein technisches Kraut gewachsen, womit sich Cyber-Grooming komplett unterbinden lässt. Chat-Funktionen und Online-Communities auf Sozialen Netzwerken, in Messengern und Games spielen Groomern dabei in die Hände. „Eltern sollten besonders Online-Spiele nicht unterschätzen. Es handelt sich hier im Grunde genauso um Soziale Medien wie Instagram, Tiktok & Co. Hier können Kinder chatten, Bilder versenden und das meistens ohne jegliche Moderation oder Altersprüfung“, gibt Ildikó Bruhns, Sicherheitsexpertin von Saferkidsonline.de zu bedenken. „Täter können in Spielen und auf Gaming-Plattformen schnell Kontakt herstellen und über das gemeinsame Spielen Vertrauen aufbauen, zum Beispiel, indem sie Lebenspunkte, In-Game-Währung oder ähnliches verschenken.“
Was sind erste Warnsignale?
„Wenn Euer Kind zum Beispiel eine Textnachricht erhält und diese nicht sofort öffnet oder den Bildschirm verdeckt, um sie zu verstecken. Kritischere Anzeichen wären beispielsweise auch, wenn das Handy häufiger nachts oder nur in Abwesenheit von Erwachsenen benutzt wird", erklärt Jarmila Tomkova. Ist Ihr Kind in Kontakt mit einem Täter/Groomer, wird es sich also anders oder ungewöhnlich verhalten als zuvor.
„Die Zeichen können äußerlich sichtbar sein, aber manche spürt das Kind nur innerlich. Eines der ersten sichtbaren und unsichtbaren Warnsignale dafür, dass das Kind belästigt oder missbraucht wird, ist sein Zögern, darüber zu sprechen. Die toxische Beziehung zum Täter gibt dem Kind das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Es ist also verängstigt und neigt dazu, sich vor den Eltern zu verschließen“, so Jarmila. „Sie fühlen sich oft ängstlich, nachdem sie mit dem Groomer gesprochen haben, was für die Eltern sichtbar sein kann", sagt Jarmila. "Das Kind verhält sich vielleicht unnahbar, zieht sich von der Gesellschaft zurück und gerät in mehr Konflikte. Nichts davon bedeutet jedoch für sich genommen, dass das Kind sexuell belästigt wird".
Schon bei diesen Warnsignalen diesem Fall solltet Ihr genauer hinschauen, wie sich Euer Kind verhält, mit ihnen sprechen und versuchen, präsenter zu sein. Es gibt noch eindeutigere Hinweise, zum Beispiel: „Wenn ein Kind ein Geschenk erhält, sei es etwas reales oder digitales, wie z. B. Leben oder Punkte in einem Spiel, ist das ein eindeutiges Warnsignal und sollte niemals unbemerkt bleiben. Jarmila erklärt auch: „Ein anderes Beispiel ist, wenn ein Kind sich mit jemandem trifft und es den Eltern nicht erzählt. Das sollte ein klarer Indikator dafür sein, dass etwas nicht stimmt."
Was könnt Ihr tun?
Verwendet zum Beispiel analoge Geschichten, Lehrvideos oder Eure eigenen Erfahrungen. "Wenn ein Elternteil den Verdacht hat, dass das eigene Kind mit einem Groomer zu tun haben könnte, ist es sehr wichtig, das Kind nicht unter Druck zu setzen. Statt es wie in einem Verhör zu befragen, ist es beispielsweise eine gute Idee, gemeinsam ein Video zu diesem Thema anzuschauen. Auf diese Weise haben das Kind und die Eltern eher das Gefühl, eine gemeinsame Basis zu haben und darüber sprechen zu können.“
Im nächsten Schritt ist es ratsam, über eigene Erfahrungen sprechen. „Scheut Euch dabei nicht, eine Geschichte einfach zu erfinden. Sagt zum Beispiel, dass sich das Kind Eurer Freunde in einer ähnlichen Situation befand. Das vermittelt dem Kind das Gefühl, dass es mit dem Problem nicht alleine dasteht“, erklärt Jarmila. Auch wenn sich herausstellt, dass Euer Kind kein Opfer von Grooming geworden ist, sind die empfohlenen Schritte trotzdem hilfreich. Sie veranschaulichen Eurem Nachwuchs, dass so etwas jedem passieren kann. Gleichzeitig lernt Euer Kind, dass es keine Schande ist, mit den Eltern zu sprechen, wenn es an einen Groomer geraten sollte. Je weniger Ihr wertet, umso leichter wird es Eurem Nachwuchs fallen, darüber zu reden, selbst wenn es super unangenehm für ihn selbst ist.
Seid nicht zu direkt
Anstatt im Gespräch in die Vollen zu gehen, fragt doch Euer Kind stattdessen, ob es jemanden kennt, der in solch eine Situation geraten ist. Vielleicht ein Freund, eine Freundin oder generell jemand aus der Schule. „Nach einem Video über Grooming könnt Ihr durch eine wahre oder erfundene Geschichte näher zum persönlichen Umfeld des Kindes wechseln. Auch wenn Ihr über eigene Erfahrungen sprecht, bei denen Ihr von jemandem betrogen wurdet, kann das dem Nachwuchs Kind helfen, sich sicherer zu fühlen und sich zu öffnen", sagt Jarmila. „Alles in allem kann man davon ausgehen, dass Euer Kind früher oder später mit Euch sprechen wird. Auch wenn es in dem Moment vielleicht nicht den Anschein hat, die Körpersprache wird das Gegenteil verraten.“
Was, wenn sich das Kind nicht öffnet?
Sexuelle Übergriffe und Manipulation sind Themen, die mit vielen Stigmata und umso mehr für Kinder mit Scham behaftet sind. "Wir als Eltern haben die Verantwortung, unsere Kinder vor Schaden zu bewahren. Wenn es so weit kommt, halte ich es für richtig, wenn man das Kind ein wenig unter Druck setzt und es bittet, einen Blick auf das Handy zu werfen. Nur so können wir wissen, mit wem es schreibt und was es sich in den sozialen Medien anschaut", rät Jarmila. Der Schutz und die Sicherheit des Kindes sollten für die Eltern immer an erster Stelle stehen. Entscheidend ist, Wichtig ist, dass Ihr als Eltern Euer Handeln begründet und dem Kind zu verstehen gibt, dass es in dem Moment nicht bestraft wird.